Der letzte macht das Licht aus

Ein etwas emotionaleres Resümee meines letzten Arbeitstages

Die Stadt liegt unter einer dichten Nebeldecke. Die Lichter der Straßenlaternen schaffen eine schummrige, eine geheimnisvolle Atmosphäre, die ich heute ein letztes Mal von meinem Schreibtisch im 21. Stock aus beobachten darf. Langsam geht die Sonne unter während ich meine letzten Arbeiten beende, meinen Schreibtisch aufräume, das Bild meiner Kinder in meine Tasche einpacke. Langsam. Behutsam.

Der Ausblick vor meinem inneren Auge
Der Ausblick vor meinem inneren Auge

So zumindest ist das Bild vor meinem Inneren Auge. Tatsächlich aber ist es erst kurz nach zwölf Uhr Mittags und so hell und klar, wie es an einem Wintertag nur sein kann. Trotzdem wünsche ich mir, dass es ein bisschen so wäre, wie in meinem Kopf. Dann würde es genau jetzt anfangen zu regnen - zuerst ganz langsam und binnen kürzester Zeit in voller Stärke an unsere Fenster prasselnd. Das würde meiner inneren Drama Queen gefallen.

 

Während ich verträumt aus dem Fenster blicke und nach Regenwolken Ausschau halte, leert sich das Unternehmen langsam. Kolleginnen und Kollegen verabschieden sich stückweise in den Weihnachtsurlaub. Man plaudert ein paar Sätze, wünscht frohe Weihnachten und einen guten Rutsch. Meistens wird mir noch viel Glück gewünscht für unsere Reise. Mit manchen plaudert man noch etwas. Über deren Pläne, über unsere, und das man sich mit Sicherheit wieder über den Weg läuft. 

 

Langsam werden die Wolken dunkler. Ein Gewitter zieht auf. Vereinzelte Blitze sind am Horizont zu sehen und der Donner wird immer lauter. Ich räume meine Teekanne weg, bin mittlerweile völlig alleine im Büro, habe mir extra Zeit gelassen mit allem, damit ich den Moment auskosten kann, den Abschied. Und so beginne ich meine letzte Runde durch das Büro. 

 

Drei Jahre war ich hier beschäftigt, habe einiges bewirken können, bin auf so manches stolz, habe mir an wieder anderem die Zähne ausgebissen. Drei Jahre. Zeit genug, um zu den Alteingesessenen zu gehören. Zeit genug, um Freundschaften zu schließen und jedenfalls Zeit genug, dass einem Kolleginnen und Kollegen ans Herz wachsen. Natürlich manche mehr als andere, aber es wäre befremdlich, wenn dem anders wäre. Immerhin gehöre ich definitiv nicht zu den einfachsten Menschen. Und ich habe wieder mal gelernt, dass man Menschen nie vorschnell verurteilen soll. 

 

Genauso, wie die letzten drei Jahre sind auch die vergangene vier Monate zu schnell vergangen. Ende August habe ich meine Geschäftsführerin darüber informiert, dass ich das Unternehmen verlassen werde, um auf Reisen gehen zu können. Gefühlt war es erst gestern. In der Zwischenzeit hat sich unsere Route konkretisiert, wir werden täglich gegen etwas anderes geimpft und haben ein neues Auto gekauft. Und ich habe mich langsam darauf vorbereite, aus dieser Firma auszuscheiden.

 

Die wenigen Einzelbüros sind bereits allesamt dunkel. Nur am Gang brennt noch Licht. Alles wirkt so ruhig. Nur der Regen prasselt weiterhin gegen die Fenster. Keine Spur von der Hektik, die hier ab und zu Hof gehalten hatte. Vereinzelt dringen Gesprächsfetzen an mein inneres Ohr, spielen sich Szenen vor meinem inneren Auge ab. Langsam arbeite ich mich vor in Richtung Ausgang, vorbei an dem Aufenthaltsbereich, in dem wir vor einer Woche erst unsere Weihnachtsfeier hatten. Wieder Erinnerungen.

 

Mittlerweile sind nur noch vereinzelte Kollegen anwesend, darunter ein Mitglied meines in fünf Minuten ehemaligen Teams. Spätestens jetzt wird mein Abschied emotional. Es fließen Tränen. Auf beiden Seiten. Aber das ist in Ordnung. Denn es ist die gute Art von Tränen. Jene, die einem zeigt, dass man in den letzten drei Jahren nicht alles falsch gemacht hat; dass nicht nur Arbeit erledigt wurde, sondern Menschen zueinander fanden, die sich so wahrscheinlich nie begegnet wären. 

 

Zum Glück bin ich kein emotionaler, sentimentaler Mensch.

Sonst würde mir der Abschied sogar noch schwer fallen.

 

Aber ich muss nach vorne schauen. Übermorgen ist Weihnachten und danach darf ich mich endlich Vollzeit um unsere Reisevorbereitungen kümmern. Russischkurs, Routenplanung. Visapingpong. Mit Montag startet die Intensivphase. Mitte Februar geht es los. Und abgesehen von meiner Hochzeit und der Geburt meiner Kinder habe ich mich noch nie so sehr auf etwas gefreut.

 

Ich stehe vor den Aufzügen, atme noch einmal tief durch. Wieder zuckt ein Blitz durch den Himmel. Der Donner folgt binnen weniger Sekunden und ist ohrenbetäubend. Der Aufzug ist da, die Türen öffnen sich. Ein routinierter Griff nach rechts zum Schalter.

 

Licht aus.

 

Ich atme tief durch. Weiter gehts.

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