Von einem der Auszog, um Visa zu besorgen.

Paul kämpft sich durch die Einreiseformalitäten der vielen Länder und verläuft sich dabei an einem schönen Wiener Wintermorgen. Eine Geschichte von Flaggenmasten, Beamtendeutsch und Stolz. Viel Stolz.

Die Botschaft muss hier irgendwo sein. Konzentriert schaue ich aus dem Fenster und suche das Haus mit dem Flaggenmast. Das ist der Vorteil von Botschaften. Irgendwo und weithin sichtbar weht die jeweilige Landesflagge stolz im Wind. Ich sollte also in der Lage sein, sie zu erkennen, sobald ich daran vorbeifahre. Soweit die Theorie.

Visa. Das Spiel der Könige
Visa. Das Spiel der Könige

Bislang sehe ich jedoch nichts. Gründerzeithaus reiht sich an Gründerzeithaus, mal mit frisch sanierten Fassaden, mal auch optisch etwas in die Jahre gekommen, was hervorragend zu den frostigen Temperaturen und dem blaugrauen Himmel passt. Doch nirgends ragt ein dürres Metallmonstrum zehn Meter in die Höhe. Auch an den Fassaden selbst finde ich nichts, was auf eine diplomatische Präsenz schließen lässt. Meine Zuversicht, heute ein weiteres Visum beantragen zu können, schwindet. Frei nach dem Motto „Antrag konnte nicht abgegeben werden mangels Botschaft“.

 

Visa is the new PhD

Insgesamt wollen wir auf unserer Tour 20 Staaten bereisen. Was auf den ersten Blick überschaubar wirkt, entpuppt sich aus organisatorischer Sicht als halbe Doktorarbeit. Denn für fast alle Länder außerhalb Europas benötigen wir deren jeweilige individuelle Aufenthaltserlaubnis, sprich ein Visum. Und die Anforderungen dafür sind nicht ansatzweise so genormt wie die gemeine Brüsseler Hausgurke.

 

So kann man manche Visa online beantragen und bezahlen sowie erhält diese direkt als pdf. Andernorts füllt man einen Antrag aus, vereinbart einen Termin, wartet eine halbe Stunde in der Schlange, gibt dann Antrag samt Pass ab, bezahlt vor Ort oder per Überweisung und holt sich Pass samt Visum etwa 1-2 Wochen später ab. Natürlich wieder inklusive Warteschlange.

 

Auswirkungen einer Digitaldiät

Heute ist jedenfalls wieder ein Erlagschein-Visum an der Reihe. Entsprechend habe ich unsere Pässe und vier unterschriebene Anträge samt Passfoto in meiner Tasche, sowie eine gute Stunde Wartezeit eingeplant. Wenn alles klappt, darf ich die Visa nach Vorlage der Einzahlungsbetätigung in 10 Tagen abholen. Vorausgesetzt ich finde die Botschaft. Und daran zweifle ich mehr denn je, da sich auch während der letzten zwei Stationen keine diplomatische Vertretung auf der anderen Seite des Straßenbahnfensters materialisiert hat.

 

Jeder moderne Mensch würde nun sein Smartphone zücken, um Zieladresse und konkreten Standort abzugleichen. Doch mit meinem Verlangen nach mobiler Digitaldiät habe ich den angebissenen Apfel frühzeitig gegen jenes Telefon getauscht, das mich auf der Reise begleiten wird. Wasserdicht, sturzsicher und mit Dual-SIM, damit ich gleichzeitig über meine heimische Nummer und über lokale Anbieter erreichbar bin.

 

Konkret bedeutet das jedoch, dass ich unterwegs wieder auf altbewährte Offline-Maßnahmen zurückgreifen muss. Ich begebe mich also an das vordere Ende der mittlerweile menschenleeren Straßenbahn und nutze den nächsten Halt, um dem Fahrer mein Problem zu schildern. Ich nenne Straße und Hausnummer der Geisterbotschaft und mein Gegenüber erkennt den Fehler binnen Sekunden.

 

Ich sitze in der falschen Straßenbahn.

Das ist zwar nicht Wien, aber in etwa so fühlte sich dieser Morgen an.
Das ist zwar nicht Wien, aber in etwa so fühlte sich dieser Morgen an.

Frischluft statt Fatboy

Die nun folgenden zwanzig Minuten Fußmarsch und die dazugehörige Frischluft haben aber auch ihr Gutes. Einerseits entspanne ich mich nach anfänglichem Ärger erwartungsgemäß schnell. Und das war zwingend notwendig. Denn ich habe die halbe Nacht im Fatboy neben Fabiennes Bett geschlafen (Albträume) und überlege ohnehin seit längerem, meinen Augenringen ob ihrer hartnäckigen Gesellschaft Namen zu geben. Die schiere Masse an Vorbereitungsarbeiten tut ihr Übriges dazu, dass mir ein kleiner Spaziergang guttut.

 

Viel wichtiger aber ist, dass ich die Zeit nutzen kann, um das Thema Visa noch einmal intensiv durchzudenken. Am liebsten würde ich ja alle bereits vor unserer Abfahrt organisieren. Immerhin kann ich hier mit den Botschaften in meiner Muttersprache kommunizieren. Darüber hinaus lechzt mein innerer Monk danach, dieses ressourcenfressende Sub-Projekt endlich abzuschließen.

 

Daraus wird aber nichts, da Visa oft erst drei Monate vor der Einreise beantragt werden können oder ab Ausstellung nur für drei Monate gelten. Ein Visum etwa für Kambodscha jetzt zu beantragen ist also entweder unmöglich oder nutzlos. Aber davon lasse ich mich nicht abhalten. Ich habe mir zum Ziel gesetzt, vor Abreise zumindest die Visa der ersten sechs Monate zu erhalten.

 

Ich ersuche die Vertreter der Botschaft hiermit, mir die für meine Reise durch Ihr geschätztes Land...

Und das läuft überraschend gut. So fehlte mir jüngst das für ein Transitvisum notwendige Visum für das nachfolgende Land. Auf Anraten des Botschaftsmitarbeiters verfasste ich ein handschriftliches Ersuchen um Ausnahmeregelung, welches den schnittigen Mitt-30er verzückte – so präzise, so höflich – dass er mich direkt fragte, ob ich vielleicht selbst Beamter sei. Wohl ein Kompliment. Ich jedenfalls freute mich, als ich eine Woche später das Visum in Händen hielt. Für einen Aufenthalt in fünf Monaten.

 

Vier Visa möchte ich im kommenden Monat noch beantragen. Das heutige miteingeschlossen. Für eines davon werde ich sogar eine Visa-Agentur beauftragen. Immerhin wären wir nicht die ersten, denen die Erlaubnis verweigert wird, dieses konkrete Land zu bereisen. Und dieses Risiko möchte ich nicht eingehen, zumal die Alternativroute zwar schön sein soll, aber einige potenzielle Highlights der Tour gefährden würde.

 

Das alles geht mir durch den Kopf, während ich meinem Ziel immer näherkomme. Mittlerweile bin ich sogar in der richtigen Straße und folge den Schienen der richten Straßenbahn. Ich bin richtig stolz auf mich.

 

Plötzlich zeichnet sich ich am Horizont eine ungewöhnliche Form ab. Höher als die Bäume, die Straße und Gehsteig trennen und schmäler als ein Kirchturm hebt sie sich vom Himmel ab. Das muss er sein. Das ist er. Der 10-Meter hohe Flaggenmast. Und von seiner Spitze weht die Flagge im eisigen Wind.

 

Stolz sieht sie aus, da oben.

 

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PS: Ich habe die konkreten Länder bewusst nicht benannt, um zukünftige, laufende oder an sich bereits abgeschlossene Prozesse nicht zu beeinflussen. Man weiß ja nie.

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Kommentare: 1
  • #1

    Karin Schadelbauer (Samstag, 20 Januar 2018 11:06)

    Deine Berichte sind "köstlich" und überaus unterhaltsam! Gratuliere....auch zum Fortschritt der Vorbereitungen!